Trinitatiskirche

Planung

Es ist ganz gleich, aus welcher Richtung man sich Riesa nähert, der mächtige, 75 Meter hohe Turm der Trinitatiskirche grüßt schon von weitem jeden, der sich der großen Kreisstadt nähert. Will der gedrungene Bau mahnen und rufen, etwas vermitteln von “Eine feste Burg ist unser Gott”? Oder ist er nur Ausdruck gewachsenen Selbstbewußtseins der Menschen einer damals sich rasch entwickelnden Industriegesellschaft, der scheinbar keine Grenzen gesetzt waren und die auf Schutz und Trutz bauten? Oder soll den Betrachtern des Gotteshauses etwas von Ewigkeit vermittelt werden, von über die irdische Welt hinausweisende göttliche Wahrheit und Offenbarung, ähnlich dem Bestreben der Vorväter einer früheren Epoche mit den aufstrebenden Säulen und Gewölben gotischer Dome?

Sicher ist ein Stück Wahrheit in jedem Aspekt möglicher Motivation für diesen Kirchenbau vorhanden. Äußerer Anlaß war jedoch die rasch wachsende Einwohnerzahl der Stadt mit der sich dadurch auch vergrößerden Gottesdienstgemeinde, verstärkt noch durch den Garnisonsstandort Riesa. In die bis zur Fertigstellung der Trinitatiskirche als Stadtkirche dienende Klosterkirche waren bereits 1809 zwei Emporen übereinander eingebaut worden, die sich rechts und links durch das Schiff und den Chorraum ninzogen und hinter dem damals gleichfalls errichteten Kanzelaltar beide Seiten miteinander verbanden. 1848 erhielt das Schiff über der zweiten Empore noch eine dritte Empore. Dieser architektonisch und sicher auch akustisch unbefriedigende Zustand konnte die Platzfrage auf Dauer auch nicht lösen. So kam um 1890 der Neubau einer Kirche immer stärker ins Gespräch. Gutachten wurden eingeholt. Nach gründlichen Überlegungen beschloß 1893 der Kirchenvorstand gegen zwei Stimmen aus Poppitz und Mergendorf den Bau der Kirche.

Die städtische Gemeinde wurde um finanzielle Hilfe gebeten. Daraufhin schenkte die Stadt Riesa der Kirchgemeinde das von Bürgermeister Klötzer für den Bau der neuen Kirche vorgeschlagene Grundstück auf dem Georgsplatz, der später in Lutherplatz umbenannt wurde. Befand sich der Standort anfangs auch etwas abgelegen, so erwies sich die Richtigkeit seiner Wahl durch die weitere Entwicklung der Stadt mit der Entstehung neuer Wohngebiete. Für die Baukosten veranschlagte man die Höhe von 300.000,- Mark.

Die Überschreitung um etwa 60.000,- Mark darf wohl als noch im üblichen Bereich dafür angesehen werden. Zur Finanzierung wurden Schuld- bzw. Anleihescheine im Wert von 200,- Mark, 500,- Mark und 1000.- Mark gedruckt und ausgegeben. Nun ließ der Kirchenvorstand einen Wettbewerb unter den Architekten ganz Deutschlands zur Erstellung eines Entwurfes für die neue Kirche ausschreiben. Vier Monate hatten die Bewerber Zeit für ihre Arbeiten. Am 1. März 1894, dem festgesetzten Termin, lagen 91 Entwürfe vor. Die meisten davon hielten den Anforderungen nicht stand. In eine engere Auswahl kamen 17 Arbeiten. Gewünscht wurde vom Kirchenvorstand architektonisch die “Annäherung an einen Zentralbau”, die Außenwände in Sandstein ausgeführt. Im Schiff sollten etwa 800 Sitzplätze, auf jeder der beiden Seitenempore etwa 100 Plätze vorhanden sein. Die Jury bestand aus bedeutenden Kapazitäten des Bauwesens, den Architekten Prof. Constantin Lipsius, Dresden (Kunstakademie), Hugo Licht, Leipzig (Stadtbaudirektor, Baurat) und Arwed Rossbach, Leipzig.

Aus Riesa wurden die Stimmen von Pfarrer Führer, Bürgermeister Klötzer und Kirchenvorsteher Heyn gehört. Nach eingehender Beratung konnte der Kirchgemeinde der Entwurf eines neuromanischen Zentralbaues empfohlen werden, den der Architekt Jürgen Kröger aus Berlin, der auch den 1. Preis erhielt, angefertigt hatte.

Diese Empfehlung wurde vom Kirchenvorstand in seiner Sitzung vom 15. April 1894 einstimmig angenommen. Der Architekt Jürgen Kröger lebte von 1856 bis 1928. Die berufliche Entwicklung führte ihn aus seinem Heimatort Haale (Kreis Rendsburg, Schleswig-Holstein) nach Berlin, wo er ein Architekturbüro gründete. Die Aufträge für Kirchenneubauten erhielt er nicht nur aus dem dortigen Raum. In Sachsen schuf er u.a. 1891-1893 die Moritzkirche in Zwickau, 1895-1897 die Trinitatiskirche in Riesa und 1897-1901 die Jakobikirche in Dresden (1946 zerstört): Dieser in den drei Städten mit Zentralturmanlage auf kreuzförmigem Grundriß errichtete Kirchentyp war aber nicht nur auf Kröger beschränkt. Er erfreute sich in evangelischen Gebieten größerer Beliebtheit. Nach einigem Zögern akzeptierte ihn auch die Landeskirche Sachsens, die ohnehin ein großes Vorbild dafür in der Dresdner Frauenkirche besaß.

Einweihung

Der erste Spatenstich für die Trinitatiskirche erfolgte am 18. April, die Grundsteinlegung am 17. Juni 1895. Die Leitung des Baues lag in den Händen von Jürgen Bachmann, der als Architekt im Atelier von Jürgen Kröger arbeitete. Die Riesaer Firma Louis Schneider erhielt den Auftrag für die Erd- und Maurerarbeiten. Die dabei ausgehobene Erde wurde gleich zur Erhöhung und Planierung des Baugeländes verwendet. Dadurch konnten erhebliche Kosten eingespart werden. Die Steinmetzarbeiten führte das Unternehmen des Bildhauers C. F. Förster mit Sandstein aus der Sächsischen Schweiz aus. Die Verblendziegel für Gewölbe und Wände lieferten die Ullersdorfer Werke bei Liegnitz. Für die Dachkonstruktion wurde Eisen verwendet.

Das Richtfest konnte bereits im Juni 1896 stattfinden, die Glockenweihe im November 1896. Am 4. Juli 1897 war es dann soweit. Die Stadt hatte sich zum großen Ereignis würdig geschmückt. Eine festliche Prozession bewegte sich unter Glockengeläut und Begleitung durch eine Musikkapelle von der Klosterkirche zur Trinitatiskirche, in der ein ergreifender Weihegottesdienst begangen wurde.

Welch großartiger Eindruck mag die Teilnehmer des Zuges schon vor dem Eintritt in das Gotteshaus an der hoch aufragenden Fassade mit dem gewaltigen Turm befallen haben. Beim Eintritt in das Kirchenschiff, der wohl unter brausendem Orgelspiel stattfand, wird die Höhe der Kuppel mit der an höchster Stelle in der Mitte gleich einer Sonne leuchtenden Opalglaslampe, umgeben von einer Schar gemalter Engel mit Himmel und Sternen, Bewunderung hervorgerufen haben. Weiter mag dann der Blick zu den in prächtigen Farben gestalteten großen fenstern gegangen sein. Die Geburt Jesu wurde im nördlichen Fenster dargestellt, umrahmt rechts und links in kleineren Fenstern vom Propheten Jesaja und König David.

Das große Fenster auf der Südseite war als Passionsfenster gestaltet, die kleineren Fenster daneben zeigten Mose und Johannes der Täufer. Nun blickten die Augen wohl zum Altar, einer Stiftung von Carl Wilhelm Förster. Der untere Teil des Altars war aus Ziegeln gemauert, der obere Teil über der Mensa war aus westfälischem Kalkstein hergestellt worden.

Unter dem hochaufragenden Kruzifix, das von zwei in sitzender Haltung betenden Engeln flankiert wurde, war als Relief Jesus mit seinen Jüngern beim Abendmahl zu sehen. Über dem Altar, in der Rückwand der Altarnische, stellten drei Rosettenfenster die Trinität dar, die der Kirche auch ihren Namen gab. Von den Seitenwänden der Altarnische blickten die Bildnisse der vier Evangelisten, und rechts und links neben der Nische schauten die großen Statuen von Luther und Melanchthon auf die Gemeinde herab. Kanzel, Taufbecken und Lesepult fügten sich gut in das Gesamtbild des Altarraumes ein. Die Innenwände der Kirche waren in satten Farben und mit vielen Ornamenten verziert, gleiczhsam schweren Tapeten in der Mode ihrer Entstehungszeit. In die vier Zwickel der Gewölbeansätze waren Bilder mit Christus als Prediger, Arzt, Leidender und Erhöhter gemalt worden.

Die hoch im Gewölbe angebrachten Lampen gaben gedämpftes Licht ab und unterstützten so die leicht mystische Atmosphäre in der Kirche als Ausdruck ihrer Zeit. Die vier Bronzeglocken riefen zu den Gottesdiensten und erklangen bei Freund und Leid über die Dächer der Stadt hinweg, bis sie 1917 zu Kriegszwecken abgegeben werden mußten. 1921 erhielt die Kirche drei neue Stahlgußglocken. Dadurch blieb ihr im 2. Weltkrieg die Abgabe der Glocken erspart. So klingt das sonore Geläut in wundervollem h-Moll-Akkord auch weiterhin über Stadt und Land.

Renovierung

Als besondere Gnade sollte man ansehen, daß Turm und Kirche gegen Ende des zweiten Weltkrieges, als die Kampfhandlungen sich Riesa näherten, vor der Zerstörung bewahrt blieben, denn der Turm mit seinem weiten Rundblick aus der hochliegenden Laterne war der ideale Beobachtungsstand für die kämpfenden Truppen.

Mehreren Generationen von Gemeindemitgliedern war die Trinitatiskirche in der beschriebenen Gestaltung vertraut. Sie erlebten Gottesdienste, Konfirmationen, Trauungen und Taufen darin und fühlten sich deshalb heimisch in ihr. In den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts waren die Schäden am Dach, an den Wänden und an den Fenstern so offensichtlich geworden, daß die Renovierung der Kirche beschlossen werden mußte. Bänke und Orgel wurden ausgebaut und das gesamte Schiff bis unter das Gewölbe mit einem Gerüst aus Holzstangen und Brettern, gleich einem Kunstwerk, durch den alten Gerüstbaumeister Hunger ausgefüllt. Die Bauaufsicht staunte und sagte, das Gerüst wäre so gut und fest, daß ein Trabant darauf herumfahren könne. Die Leitung der Arbeiten lag in den Händen von Architekt Dipl. Ing. Christian Möller und Kunstmaler und Restaurator Helmar Helas. Das Amt für Denkmalpflege war beratend daran beteiligt.

Der Tendenz dieser Jahre folgend, sollte die Kirche hell und freundlich werden. Mystisches Halbdunkel war nicht mehr gefragt. Die Wandflächen bekamen einen hellen, leicht elfenbeinfarbigen Anstrich. Dadurch kamen die Gewölberippen deutlich zum Vorstein. Die Altarnische wurde in einem dunklerem Ziegelfarbton gestaltet, um Altar und Kreuz besser hervortreten zu lassen. Die Statuen von Luther und Melanchthon, die räumlich und damit auch theologisch in ihrer Wertigkeit zu sehr im vordergrund standen, wurden entfernt, damit sich der Blick allein auf Christus am Kreuz als Heil der Welt richtet.

Die Rosettenfenster über dem Altar wurden in kräftigen Farben erneuert. Ein rot hervorgehobenes Dreieck verbindet nun die drei Fenster symbolisch zur Trinität. Die Fenster des Altarraumes, die ebenfalls erneuert werden mußten, sind farblich etwas gedeckter als die großen Fenster im Schiff und sollen durch tropfenförmige Motive das Pfingstgeschehen darstellen.

Die von Emil Nöllmer aus Breslau geschaffenen Kunstmalerarbeiten wurden von Helmar Helas, der auch die Entwürfe für die erneuerten Fenster schuf, restauriert. Die neuen großen Fenster im Schiff, die sehr hell der farblichen Gesamtkonzeption angepaßt wurden, sollen, wie die alten Fenster, jedoch in modernem Stil, den Betrachtenden das Weihnachts- und Ostergeschehen künstlerisch vermitteln. Leider waren die schönen farbigen Glasfenster durch Steinwürfe so zerstört worden, daß die Wiederherstellung aus finanziellen Gründen nicht möglich war. Alle Fenster wurden deshalb zu ihrem Schutz sogleich mit Drahtgittern versehen. Die Fenster an der Orgelempore konnten im alten Stil restauriert werden, andere harren noch auf die Erneuerung. Die Seitenschiffe sind durch Leitbauwände vom Mittelschiff abgetrennt worden, um kleinere Nebenräume für den Unterricht zu erhalten. Als positive Nebenwirkung verbesserte sich durch diese Maßnahme die Akustik in der Kirche.

Sicher wäre eine solche Kirchenrenovierung aus Gründen des Denkmalschutzes heute nicht möglich. Aber Gemeinde und Mitarbeiter haben – abgesehen von den farblich etwas matt geradenen großen Fenstern – die Erneuerung der Kirche vor etwa 30 Jahren dankbar angenommen. Das Gemeindeleben in der Kirche und um die Kirche herum blühte erfreulich auf.